Kurdische AktivistInnen haben soeben die Zentrale des Rüstungskonzerns Rheinmetall auf der Ulmenstraße 125 in Düsseldorf besetzt.
Frank Laubenburg, Mitglied des Rates der Landeshauptstadt Düsseldorf, erklärt dazu: "Der Krieg der türkischen Armee gegen die kurdische Bevölkerung wird auch in Düsseldorf organisiert. Die Rheinmetall AG ermöglicht durch ihre Waffenlieferungen die massenhafte Ermordung von Frauen, Kindern und Männern in den kurdischen Gebieten. Von daher halte ich die derzeitige Besetzung der Rheinmetall-Zentrale in Düsseldorf für mehr als angemessen. Vor Ort bemühe ich mich derzeit, eine Eskalation der Situation durch Polizei zu verhindern und hoffe, dass sich im Laufe des Nachmittages noch mehr Unterstützerinnen vor der Rheinmetall-Zentrale einfinden werden."
see red! Linke Initiative Düsseldorf (organisiert in der Interventionistischen Linken) sagt bereits im November 2010:
Für ein Recht auf Widerstand!
Für die Aufhebung des sogenannten PKK-Verbots
Am 23. November 1993 verhängte das Bundesinnenministerium ein Betätigungsverbot gegen die PKK, am 26. November folgten bundesweit Haus- und Vereinsdurchsuchungen und Festnahmen. Trotz einer massiven Repressionswelle machen kurdische Organisationen und Vereine in Deutschland weiterhin auf Unterdrückung und Widerstand in Kurdistan aufmerksam. In den letzten Monaten haben wir aus einer antimilitaristischen Position heraus gemeinsam mit kurdischen AktivistInnen im Rahmen der Kampagne "Tatort Kurdistan" eine Demonstration am 01.09. und eine Lesung zur Situation der Frauen in der PKK durchgeführt. Anlässlich des 17. Jahrestages des PKK-Verbots wollen wir erneut Stellung beziehen.
Rückblick
Nach jahrelangen politischen Diskussionen und von den Befreiungsbewegungen in anderen Ländern inspiriert, gründete sich 1978 die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Ihrem Selbstverständnis kämpfte sie gegen Kolonialismus und Feudalismus und für das Recht auf Selbstbestimmung, Unabhängigkeit und Sozialismus. KurdInnen gab es offiziell nicht, sie sollten zu TürkInnen assimiliert werden und galten im offiziellen türkischen Sprachgebrauch als „Bergtürken“. Ihre Sprache war verboten, ihr Land kolonialistischer Ausbeutung ausgesetzt.
Nach dem Militärputsch am 12. September 1980 rief die PKK zum Aufstand gegen die Diktatur auf. Am 15. August 1984, begann der bewaffnete Kampf in den kurdischen Gebieten der Türkei. Die Kurdischen Befreiungskräfte (HRK) attackierten an diesem Tag die staatlichen Institutionen in Dörfern der Kreise Eruh, Provinz Siirt, und Semdinli, Provinz Hakkari, und gaben damit das Signal für einen breitangelegten Guerillakampf in den kurdischen Gebieten der Türkei.
Der türkische Staat reagierte mit verschärfter Repression. Im Laufe der 90er Jahre wurden rund 4.000 kurdische Dörfer vom türkischen Militär zerstört, um die Guerilla ihrer sozialen Basis zu berauben. Die Zerstörung der kurdischen Siedlungsgebiete hat mehrere 100.000 Menschen in die Flucht getrieben, die seitdem in den Slums (Gecekondu) der Großstädte oder in Flüchtlingslagern im Nordirak unter menschenunwürdigen Bedingungen leben. Bis zu 40.000 Menschen fielen dem Krieg zum Opfer.
Deutsche Waffen, deutsches Geld, deutsche Justiz
Die deutsche Bundesregierung unterstützte das türkische Militär tatkräftig mit Hilfe von tausenden aus Beständen der ehemaligen NVA verschenkten Panzerwagen und Infanteriewaffen.
Die Türkei ist mit 15,2 % (2004-2008) noch immer wichtigster Abnehmer deutscher Rüstungsexporte. Neben den 289 Leopard-II-Panzern, die 2006 bis 2008 in die Türkei geliefert wurden, sind nach wie vor Schusswaffen, z.B. G3- und neuerdings HK33-Gewehre und MP5-Maschinenpistolen (in Lizenz bei MKEK gebaut) gegen KurdInnen im Einsatz. Außerdem ist die Türkei einer der wichtigsten Handelspartner der BRD. Seit 1980 wurden dort deutsche Investitionen in Höhe von über 5,8 Milliarden Dollar getätigt.
Die deutschen Regierungen präsentieren sich bis heute durch Waffenlieferungen, Finanzhilfen und Verbotsverfügungen als Bündnispartner des türkischen Staates. Je erfolgreicher sich die PKK in den 1980er und 1990er Jahren zu einer Massenbewegung entwickelte, umso massiver operierte der Geheimdienst MIT auch im westeuropäischen Ausland, insbesondere in Deutschland, dem Land mit der größten kurdischen Diaspora. Es begann eine Hetzkampagne, die PKK wurde zum „Hauptfeind der inneren Sicherheit“ (Generalbundesanwalt Rebmann) ausgerufen. Einigen ist sicherlich noch der „Düsseldorfer Prozess“ in unguter Erinnerung, der 1989 mit über zwanzig Angeklagten begann, verurteilt wurden 1994 lediglich vier.
Verbot und Repression
Am 23. November 1993 erfolgte dann das Verbot der PKK durch Bundesinnenminister Kanther. Zum Anlass genommen wurden die Anschläge auf türkische Vertretungen, Reisebüros usw., die in der Folge der Bombardierung der kurdischen Stadt Lice in der Provinz Diyarbakir am 22. Oktober 1993 verübt wurden. Der Tod von etwa dreißig Bewohnern und die Zerstörung von über 600 Häusern und Geschäften in Lice trieb europaweit zehntausende KurdInnen auf die Straßen.
Das Betätigungsverbot wurde verfügt gegen die PKK und die Nationale Befreiungsfront Kurdistans ERNK, außerdem wurde die Auflösung verschiedener Institutionen sowie der „Föderation der patriotischen Arbeiter- und Kulturvereine aus Kurdistan“ (FEYKA Kurdistan) mit 29 örtlichen Vereinen angeordnet.
Tausende von Ermittlungsverfahren gegen KurdInnen wurden wegen Unterstützung der PKK und ERNK (Nationale Befreiungsfront Kurdistans) nach § 20 Vereinsgesetz eingeleitet, die durch zahlreiche Berufungsverhandlungen ganze Staatsschutzkammern bei den Landgerichten verschiedener Bundesländer über Jahre auslasteten. Ähnlich wie in den fünfziger und sechziger Jahren zur Hochzeit der Kommunistenverfolgung das Tragen einer roten Nelke in der Öffentlichkeit die Strafverfolgung nach sich ziehen konnte, reichte jetzt ein T-Shirt mit einem PKK-Aufdruck, ja die auf das Zifferblatt einer Armbanduhr eingeprägte kurdische Fahne mit einem roten Stern für die Einleitung von Ermittlungsverfahren, Hausdurchsuchungen und die Beschlagnahme kurdischer Publikationen, die Aufnahme in den Polizeicomputer, das Ausländer-Zentralregister und, über NATO-Geheimdienstkanäle, in die Dateien der türkischen Sicherheitsbehörden.
Der Jugendliche Halim Dener wurde 1994 in Hannover beim Plakatieren verbotener Symbole von Zivilpolizisten erschossen. Durch das Betätigungsverbot wurde ein harmloses Plakatieren, normalerweise eine Ordnungswidrigkeit, als Werbung für eine verbotene bzw. terroristische Vereinigung verfolgt.
Weit über 100 mutmaßliche PKK-Funktionäre sahen sich mit dem Vorwurf konfrontiert, Mitglieder in einer terroristischen Vereinigung (§ 129a StGB), ab 1998 „nur noch“ in einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) zu sein. Vor Gericht spielte keine Rolle, dass viele Angeklagte schon jahrelang in der Türkei inhaftiert und Folterungen ausgesetzt gewesen waren. Trotz mehrfacher einseitiger Waffenstillstände, trotz Neuausrichtung der PKK im Jahre 2002 und der Gründung des Kongresses für Frieden und Demokratie in Kurdistan (KADEK), trotz Weiterentwicklung des friedenspolitischen Kurses durch den Kongra Gel und der KCK, welche einen gesellschaftlichen Neuaufbau in Form von Basisorganisierung der Bevölkerung auf Grundlage eines Rätesystems anstreben, besteht das PKK-Verbot weiter. Für die Verfolgungsbehörden gilt immer noch: PKK – Kadek = Kongra-Gel. = KCK = PKK
Die nach dem 11. September 2001 verabschiedeten Antiterrorgesetze hatten eine weitere Verschärfung zur Folge. Die PKK/KADEK und KONGRA-GEL/KCK wurden auf die US- und EU-Terrorliste gesetzt. Nachdem 2007 eine sogenannte Anti-PKK-Koordination aus Vertretern der USA, der Türkei und des Irak unter Mitwirkung der EU gebildet wurde, steht die Bekämpfung der kurdischen Freiheitsbewegung ganz oben auf der Agenda jedes Treffens und findet praktische Anwendung nicht nur gegen die Guerilla in den Bergen, sondern auch in Europa. Eine Auswirkung war sicher (2008) das zeitweilige Verbot des kurdischen Fernsehsenders Roj-TV in Deutschland und die Razzia des Hauptstudios in Brüssel 2010, samt Festnahmen und Zerstörung von Fahrzeugen und Kameras.
Solidarität und Widersprüche
Trotz der anhaltenden Repression ist die Solidarität der deutschen Linken seit den 1990ern deutlich zurückgegangen und vielerorts einer großen Skepsis gewichen. Tatsächlich sind Teile der formulierten Kritik auch zutreffend. In Kurdistan existieren bis heute noch starke feudale, religiöse und patriarchale Strukturen. In den ersten Jahren nach ihrer Gründung trat die PKK zwar mit einem klaren marxistischen Profil auf, lief aber immer wieder Gefahr die Hierarchien und Widersprüche in der eigenen Bewegung hinter das erklärte Hauptziel eines unabhängigen Kurdistans zurückzustecken. Diese Widersprüche wirken auch heute noch fort, aber sie werden mittlerweile benannt, kritisiert und in der Praxis angegangen. Insbesondere die kurdischen Frauen haben sich sowohl ihre autonomen Freiräume, als auch eine gleichberechtigte Position innerhalb der gemeinsamen Organisationen erkämpft. Jugendorganisationen treten für eine radikale Neugestaltung auch des alltäglichen Lebens ein, und haben beispielsweise ihre eigenen Jugenddörfer gegründet. Ambivalent bleibt weiter das Verhältnis zu dem ehemaligen Vorsitzenden der PKK, Abdullah Öcalan. Klar ist, dass die Haftbedingungen von Öcalan, der zehn Jahre lang als einziger Gefangener auf einer Gefängnisinsel in völliger Isolation lebte, Solidarität erfordern. Klar ist aber auch, dass sich die außerordentliche Position Öcalans als politische Autorität nicht dauerhaft in den neuen basisdemokratischen Strukturen der Bewegung einordnen lässt.
Die kurdische Bewegung und innerhalb dieser die PKK dürfen nicht idealisiert und romantisiert werden. Sie kämpfen wie alle linken Bewegungen weltweit gegen die die Gesellschaft und sie selbst prägenden bürgerlichen und feudalen Strukturen. Vor dem Hintergrund einer dauerhaften Militarisierung der Gesellschaft und einem immer wieder ausbrechenden Bürgerkrieg fällt das nicht leichter als anderswo. Aber erst in diesen Kämpfen entfaltet sich die befreiende Kraft zur Überwindung des Bestehenden und genau deshalb ist es notwendig sich solidarisch auf sie zu beziehen. Gleichzeitig können die in den letzten Jahren gebildeten Volks- und Stadträte auch für unsere Kämpfe eine Inspiration sein. Durch ihre Verschränkung von Autonomie und gemeinsamer Organisierung unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppierungen stellen sie eine wirksame und von breiten Teilen der Bevölkerung getragene Gegenmacht zu staatlichen Entscheidungs- und Verwaltungsstrukturen dar.
Ausblick
Mittlerweile herrscht im Konflikt eine Pattsituation. Weder die kurdische Guerilla noch das türkische Militär können diesen Krieg militärisch gewinnen. Es muss eine politische Lösung gefunden werden. Dies ist jedoch nur möglich, wenn endlich die Kriminalisierung und Verfolgung kurdischer Organisationen sowohl in der Türkei wie auch in Deutschland aufhört.
In Deutschland leben ca. sechshunderttausend KurdInnen und jedes Jahr gehen zehntausende auf die Straße, um für ihre Rechte zu demonstrieren. Über bloße Lippenbekenntnisse hinaus wollen wir nach Ansatzpunkten für eine gemeinsame Praxis suchen, wie etwa in der Kampagne Tatort Kurdistan. Genauso sind wir der Meinung, dass angesichts von weltweit herrschenden kapitalistischen Zuständen, auch unser Widerstand nur eine Relevanz entwickeln kann, wenn er eine internationalistische Perspektive zurückgewinnt.
Für die Aufhebung des PKK-Verbots!
Für Frieden und Freiheit in Kurdistan!
Hoch die internationale Solidarität!
Kongra Gel = Volkskongress Kurdistan gegründet 2003
KCK (Koma Civakên Kurdistan) = Gemeinschaft der Räte Kurdistans
KADEK (Kongreya Azadî û Demokrasiya Kurdistanê) = Kongress für Freiheit und Demokratie in Kurdistan
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