Vom 16. bis 19. Mai haben zehntausende AktivistInnen aus ganz Europa in Frankfurt am Main trotz Totalverbot aller Versammlungen, mit Ausnahme der Demonstration am Samstag, ihren Protest gegen die Krisenpolitik Deutschlands und das Spardiktat der Troika auf die Straße gebracht und sich mit ihrer Solidarität in die weltweiten Proteste gegen Krise, Krieg und Kapitalismus eingereiht. Unter dem Label „Blockupy“ wurden Platzbesetzungen, Aktionen des Zivilen Ungehorsams und eine Großdemonstration miteinander verbunden. Der Protest ist im Herzen der Bestie angekommen.
Das sich nun endlich auch was die Deutschland bewegt, darauf haben viele, nicht nur in der Bundesrepublik, lange gewartet. Seit dem Beginn der Weltwirtschaftskrise war es in Deutschland ruhig geblieben. Die „Wir zahlen nicht für eure Krise“-Demonstrationen konnten über eine ritualisierte Protestform hinaus keine Wirkung entfalten. Ein erster Anlauf zu Bankenblockaden in Frankfurt im Oktober 2010 wurden abgesagt. Allgemeine Ratlosigkeit machte sich in der Linken in Deutschland breit. Trotz Krise und einer gigantischen Sozialisation von Verlusten großer Banken verfehlte die Befriedungspolitik der Bundesregierung nicht ihr Ziel. Die Bereitschaft „den Gürtel enger zu schnallen“, das Bewusstsein, dass es anderen noch schlimmer gehe und ein nationalistischer und chauvinistischer Diskurs von „faulen Griechen“ und dem „Zahlmeister Deutschland“ hat sein übriges dazu beigetragen.
Das Jahr des Aufstands
Das Jahr 2011 hat vieles verändert. Ausgehend von den Revolten in Nordafrika, die das jahrzehntelang zementierte Machtgefüge ins Wanken brachten, wurde ein Signal des Aufbruchs in die Welt gesandt, dass auch in den USA und Europa Widerhall fand. Die Besetzung des Tahrir-Platzes in Ägypten wurde zum Vorbild, das Zelt zum Symbol des Protestes. Forderungen nach „Echter Demokratie jetzt!“ wurden verknüpft mit dem Protest gegen Verarmung und Ausgrenzung eines immer größer werdenden Teils der Gesellschaft. Ausgehend von Occupy Wall Street entwickelte sich eine weltweite Bewegung gegen Entdemokratisierung und soziale Angriffe, die auch hier aufgegriffen wurde. In Griechenland, das zum Brennpunkt und Labor für Spardiktate und neoliberale Zumutungen geworden ist, kam es zu massenhaftem Aufruhr und einer Reihe von Generalstreiks.
In vielen Ländern der Europäischen Union richtet sich der Protest zunehmend gegen die massiven Sparprogramme, gegen die massiven Lohn- und Rentenkürzungen, die umfangreichen Stellenstreichungen im öffentlichen Dienst und den Einschnitten im Sozial-, Gesundheits- und Bildungsbereich. Das Krisendiktat der von Deutschland und Frankreich dominierten Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) setzt nicht nur eine Politik der Verarmung durch, sondern hebelt mit der Installation von „Technokratenregierungen“ wie in Italien und Griechenland und der stetigen Erpressung demokratische Verfahren stetig aus.
Frankfurt im Ausnahmezustand
Die Aufbruchstimmung des Protestjahres 2011 hat schließlich auch in Deutschland der Linken den Mut und die Zuversicht zurückgegeben, den Protest nun auch vor die Haustür der Krisenakteure und Profiteure zurückzutragen. Frankfurt war mit dem Sitz der EZB und vieler Banken der ideale Ort für Aktionstage, die mehr als nur symbolhafte Demonstrationen versprachen. Mit der Demonstration des Bündnisses M31 am 31. März wurde der Auftakt gemacht, der mit der europaweiten Mobilisierung des spektrenübergreifenden Bündnisses Blockupy seine Fortsetzung finden sollte. Wie sehr die Ankündigung von Blockupy, in der Stadt Plätze zu besetzen und das Bankenviertel für einen Tag lahmzulegen und damit die rein symbolische Ebene des Protest zu verlassen, den Nerv der Herrschenden getroffen hatte, wurde im Vorfeld schnell deutlich. Eine beispiellose Hetzkampagne von Seiten der Politik und der bürgerlichen Presse, die mit dem Verweis auf die eingeworfenen Fensterscheiben bei der M31-Demo bürgerkriegsähnliche Zustände für die Protesttage in Frankfurt voraussagten, und ein totales Versammlungsverbot für die Aktionstage, von dem schließlich nur die Großdemonstration am Samstag ausgenommen wurde, waren Ausdruck des Unwillens Proteste überhaupt zuzulassen und verdeutlichten die Bereitschaft der Herrschenden, elementare Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit zu Gunsten eines ruhigen Hinterlandes für ihre Spardiktate außer Kraft zu setzen. Auch das Occupy-Camp vor der EZB, dass schon viele Monate bestanden hatte, musste den Sicherheitszäunen weichen. Nicht jedoch ohne einen im wahrsten Sinne des Wortes bunten Widerstand.
Der Ausnahmezustand in Frankfurt nahm dann an den Protesttagen selbst geradezu groteske Formen an. 5000 PolizistInnen riegelten die Innenstadt ab, Kontrollen und Checkpoints waren an nahezu jeder Kreuzung errichtet worden, die Commerzbank schloss zwei ihrer Hochhäuser und die EZB quartierte einen Teil ihrer Belegschaft in Geheimbüros aus, U-Bahnstationen wurden geschlossen, die Universität wurde geschlossen, Geschäfte verbarrikadierten sich, selbst Kindertagesstätten wurden vorsorglich geschlossen und Hunderten AktivistInnen wurde im Vorfeld ein Aufenthaltsverbot für Frankfurt ausgesprochen, was dann selbst den Gerichten zu weit ging. Ziel war es nicht nur, die Proteste zu unterbinden, sondern auch eine Stimmung der Angst und eine Kriminalisierung der AktivistInnen schon im Vorfeld zu erreichen.
Und wir kamen trotzdem...
Ein totales Versammlungsverbot für die Blockupy-Aktionstage hatte niemand im Vorfeld für möglich gehalten und so lief die Mobilisierung ins Ungewisse. Doch weder das Bündnis noch die AktivistInnen ließen sich davon abschrecken. Zu diesem Zeitpunkt waren auch schon Menschen aus ganz Europa, aus Italien, Griechenland, Frankreich, Belgien, den Niederlanden, aus Schweden, Österreich und vielen anderen Ländern, auf dem Weg nach Frankfurt. Aus Düsseldorf kamen rund 70 AktivistInnen zu den Aktionen des Zivilen Ungehorsams und nochmal weitere 50 AktivistInnen zur Großdemonstration.
Die Aktionstage standen nun nicht mehr nur unter dem Zeichen der Proteste gegen die Krisenpolitik, sondern waren auch eine Kampfansage an das Totalverbot. So hieß es dann auch: „Blockupy wird stattfinden, Punkt.“ Und schon am Mittwoch Abend verdeutlichten einige hundert RaverInnen an der Hauptwache in Frankfurt, das sich die Aktionen auch an den Folgetagen nicht verbieten lassen würden. Besonders deutlich wurde das am Donnerstag, der Tag unter dem Motto „Take the Squares!“, an dem wir zentrale Plätze in der Frankfurter Innenstadt besetzen wollten. Bereits am Vormittag wurde der Platz vor der Paulskirche besetzt. Viele hielten der martialisch auftretenden Polizei Grundgesetze entgegen. Mag diese Geste auf viele Linke befremdlich wirken, so entstand hier doch ein Bild, das den Kontrast zwischen den Interessen der BürgerInnen und der Staatsmacht deutlich werden ließ. Dass sich die FrankfurterInnen von der Angstdebatte im Vorfeld vielfach nicht anstecken ließen war an den positiven Reaktionen, an den neugierigen BesucherInnen der Aktion und ihrer Aufgeschlossenheit für den Protest zu erkennen. Bei bestem Wetter führten die AktivistInnen für alle deutlich vor Augen: Und wir sind trotzdem da!
Nachmittags setzte Blockupy dann noch einen drauf. Mit der Errichtung einer Zeltstadt vor dem Rathaus auf dem Römerberg konnte dieses Zeichen, vor allem auch gegenüber dem Schwarz-Grünen Magistrat, der die Verbote ausgesprochen hatte, nochmals unterstrichen werden. Symbolisch dafür stand das Blockupy-Transparent, dass direkt an der Forte des Rathauses befestigt wurde. Auch die Justitia-Figur des Brunnens im Zentrum des Platzes wurde entsprechend geschmückt. Mit einem bunten Protestbild und einer ausgelassenen Stimmung ging das Zeichen in die Welt hinaus: Unser Protest ist legitim und eure Verbote sind sinnlos! Dass die Plätze im Laufe des Abends dann doch von einer Übermacht an Polizei teilweise brutal geräumt wurden, was die Übernachtungssituation nicht gerade übersichtlicher werden ließ, konnte dem Erfolg an diesem Tag nur wenig Abbruch tun.
Am Freitag schließlich hatte wir uns vorgenommen, die EZB und das Bankenviertel zu blockieren. Dass die rund 3000 AktivistInnen, die in kleineren und größeren Gruppen in der Stadt unterwegs waren, dies nicht aus eigener Kraft schaffen würden, war auf Grund der Übermacht an Polizei wenig verwunderlich. Doch trotz massiver Kontorollen, weit über 1000 Ingewahrsamnahmen und unzähligen Platzverboten für die Innenstadt, Einkesselungen und mehrere Busse, die schon auf der Autobahn abgefangen wurden, gelang es auch an diesem Tag immer wieder , den Protest auf die Straße zu tragen. Mit einer Spontandemonstration durch die Innenstadt und sogar einer Kundgebung vor der EZB blieb dieser Aktionstag zwar hinter den Erwartungen zurück, jedoch gelang Es aber auch hier , das Versammlungsverbot erfolgreich zu unterlaufen und den Protest an jene Orte zu tragen, an denen die Profiteure der Krise sitzen. Und im Endeffekt war das Bankenviertel tatsächlich lahmgelegt. „Ihr habt euch selbst blockiert“, schallte es dann auch an vielen Ecken hämisch durch die Hochhausschluchten der Frankfurter Bankencity.
Den fulminante Abschluss bildete schließlich die Großdemonstration am Samstag, die mit 30.000 TeilnehmerInnen alle Erwartungen übertreffen und auch die vielen inhaltlichen Schwerpunkte der Mobilisierung, wie die ökologischen Auswirkungen der Krise, die Militarisierung der Gesellschaft, das Grenzregime Europas, die zunehmende Prekarisierung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse, um nur einige zu nennen, sichtbar machen konnte. Der antikapitalistische Charakter der Proteste wurde nicht nur und nicht zuletzt vom linksradikalen Block der Interventionistischen Linken, des „Ums Ganze!“- und des 3A-Bündnisses mit 8.000 TeilnehmerInnen unterstrichen. Auch gelang es der Polizei nicht, mit ihren unzähligen Provokationen eine Eskalation und eine von ihr beabsichtigte vorzeitige Auflösung der Veranstaltungen zu erreichen. Das Bündnis hat sich nicht spalten lassen an der Militanzfrage. So richtig es sein kann, die Scheiben von Banken, Arbeitsagenturen und Ausländerämtern einzuschmeißen, so wichtig war es an diesem Tag eine besonnene und kraftvolle Demo durchzusetzen. Und spätestens an diesem Tag war für viele FrankfurterInnen klar, von wem die Eskalation ausgeht. Sinnbildlich dafür war ein improvisiertes Transparent eines Anwohners mit der Aufschrift „Bullen auf die Weide!“. Die Stadt, die Polizei und die Gerichte haben sich blamiert, das war dann auch der/dem LetzteN ersichtlich.
Das war nur der Anfang!
Was bleibt von den Blockupy-Aktionstagen ist schließlich die Zuversicht, dass unser Protest und Widerstand legitim und möglich ist. Blockupy war der Auftakt für eine weitere Vernetzung der internationalen Bewegungen. Der Protest ist angekommen im Herzen der Bestie. Aber das kann nur ein Anfang sein. Wir kommen wieder, nach Frankfurt, nach Düsseldorf und an viele andere Plätze der Welt.
Jan Bremer (see red! Linke Initiative Düsseldorf | Interventionistische Linke)
Mehr Infos zu Blockupy und zu zukünftigen Protesten findet ihr im Internet unter:
blockupy.org | dazwischengehen.org | anti-kapitalismus.org | ifuriosi.org
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